Das „Manifest für den Frieden“ löst das Problem nicht

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Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer fordern in ihrem „Manifest für den Frieden“ den Bundeskanzler auf, die „Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen“. An der „Spitze einer starken Allianz“ auf europäischer Ebene solle er sich für einen „Waffenstillstand und Friedensverhandlungen“ einsetzen. Sonst drohe eine atomare Eskalation.

Diese Sorge vor einer Eskalation des Konfliktes zu einem Atomkrieg ist ein ernstzunehmendes Anliegen und da setzt meine Kritik an diesem Text auch nicht an. Was mich hingegen fundamental stört, ist, dass gerade linke Kräfte doch eigentlich dafür stehen sollten, schwache Länder vor Imperialismus zu schützen und nichts über den Kopf entrechteter Bevölkerungen hinweg zu entscheiden. Doch genau das würde geschehen, wenn eine „starke Allianz“ auf „europäischer Ebene“, angeführt von Olaf Scholz, gegen den expliziten Willen des ukrainischen Volkes ein Friedensarrangement durchzusetzen versuchte. Denn die ukrainische Bevölkerung kommt in diesem „Manifest“ leider nicht vor.

Es gehört zu einer der am häufigsten getätigten Aussagen über den gescheiterten Wiederaufbauprozess Afghanistans nach dem Sieg der Nordallianz und dem Fall der Taliban 2001, dass der Bonner Prozess versäumte, die Taliban mit in die Lösung einzubinden. Weil diese aber eine starke Verankerung und großen Rückhalt in weiten Teilen der Gesellschaft genossen, waren sie, obgleich vom politischen Prozess ausgeschlossen, in der Lage, das vom Westen gelenkte Friedensarrangement so lange zu torpedieren, bis sie nach zwanzig Jahren wieder die Macht erlangten.

Ein künstliches, von fremden Ländern aufgepfropftes „Friedens“-Arrangement würde in der Ukraine nicht akzeptiert werden. Aktuelle ukrainische Umfragen mag Sarah Wagenknecht bei Markus Lanz zwar mit lapidaren Bemerkungen vom Tisch wischen, weil Erhebungen in Kriegsgebieten ihrer Meinung nach nicht zuverlässig seien. Das ändert aber nichts daran, dass der Widerstandswille des Ukrainer riesig ist und die Ukraine nicht zur Ruhe käme, wenn ihr von außen aufgezwungen würde, die russische Besatzung von Teilen ihres Territoriums zu akzeptieren. Im Gegenteil, kriegerische Handlungen würden weitergehen und der Westen hätte sich aufgrund einer Preisgabe des ukrainischen Volkes aller Hebel über die Regierung in Kyjiw beraubt. Das bedeutet auch, dass es schwerer würde, die Ukraine davon abzuhalten, auf die Krim zu marschieren.

Der Mangel an Empathie, der aus dem Aufruf von Wagenknecht und Schwarzer spricht, ist für linksgerichtete Politikerinnen sehr bemerkenswert. So erwähnt der Aufruf beispielsweise nicht mit einem Wort, dass Deutschland auch weiter ukrainische Flüchtlinge aufnehmen sollte. Was mit Sicherheit einer der Gründe dafür ist, dass Tino Chrupalla, Vorsitzender der AFD-Bundestagsfraktion, den Aufruf sofort unterschrieben hat.

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Kategorisiert in Essays

Von Nicolas_Fesch

Ich habe in Tübingen, Aix-en-Provence und Paris Politikwissenschaft und Geschichte studiert. Meine Promotion befasste sich mit der Intervention in Afghanistan. Dieser Blog möchte zur Debatte um die Zukunft der europäischen Sicherheitsarchitektur beitragen.

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