Sara Nanni und die Bundeswehr

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Eines haben Sara Nanni und ich schonmal gemeinsam: Wir haben beide nicht in der Bundeswehr gedient, sind aber beide sehr interessiert an Außen- und Sicherheitspolitik. Wie ich hat sie einen Master in „Peace and Conflict Studies“. Grund genug, mich mit ihr zu beschäftigen, heute anhand eines Artikels, der Anfang 2021 in der französischen Zeitschrift Allemagne d’aujourd’hui unter dem Titel „Die deutschen Grünen und die Bundeswehr – eine besondere Beziehung“ erschienen ist.

Wer mich kennt, weiß, welche Frage mich umtreibt: Wie kann eine progressive Sicherheitspolitik aussehen? Welche Kriterien muss fortschrittliche Sicherheitspolitik erfüllen? Schauen wir uns an, was uns die Lektüre von Sara Nannis Artikel liefert. Es geht in diesem Artikel nicht per se um Sicherheitspolitik, sondern eben um die Bundeswehr. Dennoch ist die Lektüre sehr hilfreich beim Nachdenkenk darüber, wie fortschrittliche Sicherheitspolitik aussehen könnte.

Erstens, die sicherheitspolitische Debatte der Grünen hat, das zeigt der Artikel eindrücklich, eine sehr starke Bandbreite. Es gibt die traditionell pazifistisch denkenden Militär-Skeptiker, aber es gibt auch Stimmen wie die der Grünen Jugend, die sich 2014 dafür stark machte, Bodentruppen nach Syrien zu schicken, um den IS zu stoppen und Menschenleben zu schützen, oder diejenige von Omid Nouripour (für den die Enthaltung Deutschlands im Sicherheitsrat 2011 zu Libyen ein Fehler war). Dass die Grünen eine Partei mit heterogener Einstellung zur Friedenspolitik sind, ist ein Mythos.

Zweitens, konzeptuell scheint mir die sicherheitspolitische Reflexion bei den Grünen sehr stark ausgereift zu sein. Dies spiegelt sich in umfangreichen Kriterienkatalogen und Überlegungen zur Legitimität von Gewalt in den internationalen Beziehungen wider.  Besonders sieht man das an §394 des 2020 beschlossenen Grundsatzprogrammes, dessen Ausführlichkeit darauf zurückzuführen ist, wie intensiv militärische Fragen bei den Grünen zu Zeiten der Kosovo-Intervention diskutiert wurden. Ein paar Stichworte: Gewalt kann nur das letzte Mittel sein, Einsätze brauchen klare Aufträge, zivil-militärische Ansätze und unabhängige Evaluierungen. Die Bundeswehr darf nicht an Koalitionen der Willigen teilnehmen, Eingriffe in fremde Souveränität sind nur mit VN-Mandat denkbar. Die so genannte Schutzverantwortung (Responsibility to Protect) ist Teil der Beschlusslage der Bundesdelegiertenkonferenz 2012.

Drittens, die Beziehung zur Bundeswehr ist keine natürlich-organische, sondern von einer gewissen Distanz geprägt. Rechtsextremistische Umtriebe in der Bundeswehr machen es vielen Grünen schwer, sich offen für die Bundeswehr zu positionieren. Dies schlägt sich auch inhaltlich wieder. Sicherheitspolitische Anträge befassen sich tendenziell öfter mit dem Schutz von Menschenrechten als mit allgemeiner Sicherheitspolitik und sie betonen lieber Themen der internationalen Abrüstung als der Ausrüstung der Bundeswehr.

Viertens, der prinzipielle Antimilitarismus ist bei den Grünen auf dem Rückmarsch. Generell drehen sich die Debatten nicht so sehr darum, ob Militär per se eingesetzt werden darf. Denn, so der bereits zitierte § 394, wenn „das Vetorecht im Sicherheitsrat missbraucht wird, um schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu decken, steht die Weltgemeinschaft vor einem Dilemma“ zwischen Nicht-Handeln und Handeln. Da also das prinzipielle Nein zu Gewaltanwendung überwunden ist, kreisen die Diskussionen eher um die konkrete Ausgestaltung von Sicherheitspolitik. Anders formuliert: Dass Militär ein Mittel der Politik sein kann, steht nicht so sehr im Vordergrund, sondern eher die Kritik am Verlauf westlicher Interventionen. Dies deutet – im Lichte der mehr als zweifelhaften Ergebnisse in Mali, Libyen und Afghanistan – auf einen sehr willkommenen Reflexionsprozess zu den Grenzen militärischer Mittel hin.

Fünftens, der Kerngedanke grünen progressiven Sicherheitsdenkens dreht sich um das Individuum, nicht den Staat. In dieser Konzeption hat die Armee einen Platz, ist aber nicht die wichtigste Akteurin. Im vernetzten Ansatz mit zivilen Institutionen muss sie das Umfeld dafür schaffen, dass Menschen, nicht Institutionen, geschützt werden.

In meinem Blog möchte ich meine Gedanken zu einer progressiven Sicherheitspolitik in Kürze noch weiter ausbuchstabieren. Für heute möchte ich mit einer Frage enden, die sich mir bei der Lektüre aufgedrängt hat: Sollten die Grünen auf kritischer Distanz zur Bundeswehr beharren oder würde nicht im Gegenteil eine stärkere Verankerung der Grünen in der Bundeswehr der Partei guttun (nur sehr wenige Grüne sind Soldaten)? Die Frage ist wichtig, denn ich selbst bin, wie oben gesagt, ebenfalls kein Soldat. Und es ist wichtig, nicht aus den Augen zu verlieren, dass wir aus politikwissenschaftlicher Sicht von Dingen sprechen, die am Ende Soldaten und Soldatinnen unter Gefahr für Leib und Leben ausführen müssen. Es ist natürlich wichtig, dass progressive Parteien die Sicherheitsorgane kritisch begleiten. Aber es ist auch wichtig, darüber nachzudenken, wie die spezifische Expertise von Militärs in den politischen Reflexionsprozess eingebracht werden kann, sodass PolitikerInnen (oder Politologen wie ich selbst) nicht im Elfenbeinturm über Sicherheitspolitik nachdenken.

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Von Nicolas_Fesch

Ich habe in Tübingen, Aix-en-Provence und Paris Politikwissenschaft und Geschichte studiert. Meine Promotion befasste sich mit der Intervention in Afghanistan. Dieser Blog möchte zur Debatte um die Zukunft der europäischen Sicherheitsarchitektur beitragen.

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